Pfiat di, Joe!

Für NFL-Hall-of-Famer und O-Line Coach Joe Thomas geht die Coaching-Reise bei den Munich Ravens zu Ende. Nach einer Saison, bei der er die Bayern erstmals bis in die Playoffs führte, blickt Joe abschließend auf seine Zeit und Erfahrungen in Deutschland zurück. Er spricht über die wachsende Popularität des Sports in Europa und gibt einen Ausblick auf seine Pläne nach der Rückkehr in die USA. Für Thomas ist aber eines klar: „Ich hatte die besten neun Monate hier.“

Joe, American Football hat in den letzten Jahren in Deutschland und Europa an Popularität gewonnen. Was muss passieren, damit der Sport noch beliebter wird?

Joe Thomas: Das Wichtigste wäre, mehr junge Kinder für Football zu begeistern. In den USA fangen Kinder schon früh damit an, und durch Flag Football ist es noch zugänglicher geworden. Wenn junge Menschen den Sport spielen, werden sie zu lebenslangen Fans. Sie träumen vielleicht einmal davon, für die Munich Ravens zu spielen, und selbst wenn dieser Traum nicht in Erfüllung geht, werden sie das Team ein Leben lang als Fans unterstützen. In den USA ist Football von klein auf in der Kultur verankert. Kinder fangen in der fünften Klasse an zu spielen, und es wird Teil ihrer Identität. Das muss auch hier in Europa passieren.

Etwa durch Flag Football?

Joe Thomas: Absolut, weil es den Sport für mehr Menschen zugänglich macht, auch für diejenigen, die sich vielleicht nicht für die Härte des Tackle Football interessieren. Flag Football ermöglicht es Jungen und Mädchen sowie Menschen aller Altersgruppen, den Sport zu erleben, und sobald sie es tun, sind sie begeistert. Wichtig ist auch, dem Sport Zeit zum Wachsen zu geben, damit er Teil der Kultur werden kann. Je mehr Menschen ihn in ihren sozialen Medien oder im Fernsehen sehen, desto mehr Begeisterung wird entstehen. Football lehrt wertvolle Lebenslektionen, etwa das Überwinden von Widrigkeiten, den Fokus auf etwas Größeres als sich selbst setzen und die Arbeit im Team. Es ist ein Sport, der lebenslange Leidenschaft weckt, und das wird seine Popularität in Europa vorantreiben, da bin ich mir sicher.

Was hat Dir hier in der Gegend am besten gefallen? Gibt es besondere Orte, die Dir bei deinen Reisen durch Europa in Erinnerung geblieben sind?

Joe Thomas: Ich hatte die besten neun Monate hier. Was ich an Bayern am meisten liebe? Natürlich das Bier, aber darüber hinaus erinnert mich das Essen auch an meine Kindheit, als ich in einem deutschen Haushalt aufwuchs. Obwohl meine Familie schon vor sechs Generationen eingewandert ist, weckt das Essen immer noch Erinnerungen an die Küchen meiner Oma und meiner Mutter. Es ist „Comfort Food“ für mich. Und auch die Berge sind unbeschreiblich- so etwas haben wir zu Hause in Wisconsin nicht. Ich habe es geliebt, im Winter Ski zu fahren und im Sommer zu wandern, die frische Bergluft und die atemberaubende Aussicht zu genießen. Und dann ist da noch die Tracht – ich liebe meine Lederhose. Ich trage sie ständig, zu jedem Anlass. Ob lässig oder formal, sie ist mein ständiger Begleiter. Die kulturelle Erfahrung hier, vom Essen bis zu den Traditionen, habe ich sehr genossen.

Bleiben wir kurz bei den Traditionen. Gibt es hier etwas, was sich für Dich immer noch fremd und ungeowhnt anfühlt?

Joe Thomas: Die Vorstellung, dass sonntags nichts offen ist und man an diesem Tag nicht viel unternimmt, ist für mich als Amerikaner fremd. In den USA passiert am Wochenende alles. Viele Geschäfte haben tatsächlich unter der Woche geschlossen und am Wochenende geöffnet. Aber ich mag diese Tradition hier wirklich – sie zwingt die Menschen dazu, Zeit mit Familie und Freunden zu verbringen, rauszugehen und die Natur zu genießen. Es ist eine schöne Tradition, die ich zu schätzen gelernt habe. Anfangs war es seltsam, weil ich so an die Hektik der Wochenenden in den Staaten gewöhnt war, aber jetzt sehe ich den Wert darin. Es ist eine Chance, einen Gang zurückzuschalten, zu entspannen und sich mit den Menschen um einen herum zu verbinden. Ob man in den Englischen Garten geht, die Isar hinuntertreibt oder in die Berge zum Wandern fährt, es gibt immer etwas zu tun, das nichts mit Einkaufen oder Erledigungen zu tun hat. Das ist ziemlich toll.

Für dich geht es jetzt zurück in die Staaten. Was sind jetzt deine nächsten Schritte? Wirst du als Trainer weiter arbeiten?

Joe Thomas: Ich werde nun wieder ins NFL-Broadcasting einsteigen, Radio- und TV-Arbeit für die Cleveland Browns machen und einige internationale Spiele für NFL Network kommentieren. Es ist bittersüß, weil ich meine Zeit hier so sehr genossen habe, aber ich freue mich darauf, in die Staaten zurückzukehren und meine Kinder in Aktion zu sehen. Mein Sohn spielt Flag Football, und obwohl ich den Großteil seiner Saison verpassen werde, freue ich mich darauf, ein paar Spiele zu sehen. Meine Töchter spielen Volleyball und meine Frau ist Trainerin, also freue ich mich darauf, auch dafür da zu sein. Es geht darum, wieder in den Rhythmus des Familienlebens zu kommen und bei diesen wichtigen Momenten präsent zu sein.

Was sind deine Prognosen für die Browns in dieser Saison?

Joe Thomas: Da ich kein Trainer bin, kann ich das sagen – sie werden den Super Bowl gewinnen! Ich bin wirklich begeistert von dem Team in diesem Jahr. Sie haben eine großartige Verteidigung, angeführt vom besten Defensivspieler, Myles Garrett. Ich denke, Deshaun Watson wird zu seiner alten Form zurückfinden, und sie haben viele Waffen in der Offensive. Es wird eine aufregende Saison, aber jede NFL-Saison ist aufregend. Die AFC North ist hart mit den Cincinnati Bengals, Baltimore Ravens und Pittsburgh Steelers. Und dann muss man natürlich einen Weg finden, die Chiefs zu schlagen. Aber ich glaube, die Browns haben das Zeug dazu, ganz nach oben zu kommen. Es gibt viel Hype und Aufregung um dieses Team, und ich kann es kaum erwarten zu sehen, wie sich die Saison entwickelt.

Wirst du nächstes Jahr wiederkommen oder eines unserer Spiele besuchen?

Joe Thomas: Ich habe noch nicht viel über diesen Herbst hinaus nachgedacht, aber nach München zurückzukehren ist etwas, das ich gerne tun würde. Ob als Trainer, um ein Spiel zu sehen oder einfach nur, um mich mit den Freunden, die ich hier gefunden habe, wieder zu treffen – es steht definitiv auf meiner Liste. Ich würde mich auch freuen, wenn sie mich in den Staaten besuchen würden. Marlon Werthman hat schon einen Vorgeschmack auf mein Leben in Wisconsin bekommen, als er meine Farm besuchte, und ich würde diese Erfahrung gerne mit den anderen teilen.

Nenne mir bitte drei Dinge, die du an Deutschland am meisten vermissen wirst – abgesehen vom Bier.

Joe Thomas: Das ist eine schwierige Frage! Neben dem Bier werde ich auf jeden Fall die Menschen und die Freunde vermissen, die ich hier gefunden habe. Und dir Natur- besonders den Englischen Garten und die Alpen. Das sind Dinge, die ich in den Staaten nicht so nah haben werde. Die Berge waren ein großer Teil meiner Erfahrung hier. Skifahren, Wandern und einfach von solcher natürlicher Schönheit umgeben zu sein, ist etwas, das ich wirklich vermissen werde. Und natürlich die kulturellen Erfahrungen, wie das Essen und die Tracht. Das Gefühl für Geschichte und Tradition hier ist etwas, das ich lieben gelernt habe. Ich werde diese Erinnerungen mit mir tragen, und sie werden immer einen besonderen Platz in meinem Herzen haben.

Über Joe Thomas
Joe Thomas ist ein ehemaliger Erstrunden-Draft-Pick der Cleveland Browns. Er spielte elf Jahre für die NFL-Franchise und wurde in dieser Zeit zehn Mal für den Pro Bowl, das All-Star-Game der NFL, nominiert. Thomas war sechs Mal im NFL First Team All-Pro und zwei Mal im NFL Second Team All-Pro. Er wurde ins Team der 2010er Dekade gewählt und wurde 2023 in die NFL Hall of Fame aufgenommen. Als bisher einziger Spieler in der Geschichte der NFL spielte Thomas in über 10.000 aufeinanderfolgenden Spielzügen – ohne Pause oder Verletzung. Sein Rekord liegt bei 10.363 Snaps.

Foto: Roland Johannes